Der Glaube an die Menschheit

Der Titel dieses Beitrags mag ein wenig seltsam wirken, wenn man bedenkt, dass es ein Reisebericht ist. Was dahinter steckt, wird sich im Laufe der Erzählung, irgendwo zwischen Varanasi, Agra, Delhi und Chennai, auflösen. Es wird ein etwas längerer Eintrag (und mir ist klar, dass die anderen auch nicht gerade kurz waren… 🙂 ), also lest ihn ruhig in Etappen.

Bevor wir beginnen möchte ich kurz meine Volunteer-ReisepartnerInnen vorstellen:
Chiara, mit der ich die längste Zeit zusammen gereist bin, arbeitet in der Nähe von Madurai in einem Kinderheim und unterrichtet Englisch an einem College in der Nähe. Sie wurde von den Steyler Missionaren nach Indien gesendet.
Abi und Samuel arbeiten in einem Kinderheim für Slumkinder in Chennai.
Maria und Magda arbeiten in Kerala an einer Schule und unterrichten dort Englisch und Social Science. Die vier sind Volunteers der Franziskaner und haben Chiara und mich bis nach Varanasi begleitet, von dort haben sich unsere Reisewege dann getrennt.

Rätselraten im Zug

Am Abend des 29.04. trafen sich meine ReisepartnerInnen und ich am Bahnhof in Chennai. Chiara und ich wären um ein Haar zum falschen Bahnhof gefahren, doch das konnte durch einen Zufall gerade noch verhindert werden… Da wir unser Zugticket später als die anderen gebucht hatten, saßen Chiara und ich zwei Abteile entfernt von den anderen vier. Im Zug angekommen sind wir erst einmal ins Bett gegangen, schließlich war es schon Nacht. Vor uns lagen 2 Tage Zugfahrt, die überraschenderweise zu einer sehr angenehmen Zeit wurden. An Tag 1 haben wir uns zuerst mit einem Mann uns gegenüber unterhalten, nach einiger Zeit kam ein junger Typ dazu, der uns einfach so angesprochen hat. Lustigerweise war besagter Typ ein Brother der Jesuiten und mit drei seiner Companions (Brothers im gleichen Jahrgang) unterwegs! Die vier studieren gerade Philosophie in Chennai, kommen aber ursprünglich aus dem Nordosten Indiens. Mit ihnen haben wir uns die restlichen 2 Tage die Zeit vertrieben, mit Kartenspielen, Reden, Lachen, Tee trinken etc. Eine besondere Leidenschaft der Brothers waren Rätselfragen, und so verbrachten wir die Abende damit, uns gegenseitig mit Rätseln auf die Palme zu bringen.
Nach 2 Tagen Zugfahrt konnten wir ein sehr positives Fazit ziehen (die trockenen Chapati im Zug mal ausgeschlossen), und haben uns schweren Herzens von unseren Brothers verabschiedet. Unser Urlaub ging ja danach eigentlich erst so richtig los!

Rettungsaktion bei Nacht

Unser erstes Ziel hieß Darjeeling, doch wegen einer großen Zugverspätung konnten wir am Abend leider kein Taxi mehr dorthin nehmen. Unser Zug kam in New Jalpaiguri an und wir wussten nicht so recht, wohin mit uns. Aber ich kann euch sagen, wer Verbindungen zu Jesuits hat, wird nicht auf der Straße sitzen, egal wo in Indien. Lydia, Jesuit Volunteer in Darjeeling, hat alle Hebel in Bewegung gesetzt (Danke nochmal!) und einen Father, den sie einmal zufällig an der Straße getroffen hatte, informiert. Der ist sofort in den Jeep gesprungen und hat uns abgeholt. Er arbeitet für das Krankenhaus „Jesu Ashram“ in der Nähe von NJP, wo wir für eine Nacht in Krankenhauszimmern übernachten durften. Er hat uns auch gleich noch Abendessen organisiert, es ist wirklich unglaublich, wie offen und hilfsbereit die Jesuiten sind! Am nächsten Tag hat er uns auf eine Krankenhaustour mit zwei australischen Freiwilligen geschickt und in dieser Zeit unseren Transport nach Darjeeling geplant. In diesem Sinne, ein herzliches Dankeschön an Father Vincent aus Jesu Ashram, den ersten unserer Engel auf dieser Reise.

Momos, Schals und Tee

Darjeeling hat uns mit einer willkommenen Abkühlung begrüßt, wir haben die brütende, stickige Hitze von Chennai hinter uns gelassen! Wir verbrachten unsere Tage vor allem mit Bummeln durch die schönen, gewundenen Straßen der Stadt, auf Jagd nach schönen Schals, Socken, dem besten Tee, Eis oder kunstvoll verziertem Schmuck aus Tibet.

Die Speisekarten der Restaurants warfen viele Fragen auf, Chowmein, Momos, Thukpa, was ist das alles? Über die 5 Tage haben wir uns munter durchprobiert, es gab aber auch Zeiten wo wir uns einfach nach Reis mit Sambar gesehnt haben. In Nordindien essen die einfachen Leute meistens Reis mit Dal und Gemüse, wir waren vor allem sehr begeistert von den leckeren Kartoffel-Bohnen-Zubereitungen. Ansonsten bekommt man eher fettiges Essen wie Frühlingsrollen oder gebratene Nudeln, das sind wir aus dem Süden nicht mehr gewohnt! Momos sind sehr bekannt für diese Gegend, es handelt sich um Teigtaschen, meist durch steam-cooking zubereitet, mit verschiedensten Füllungen. Perfekt als Fingerfood für den kleinen Hunger!

Dort hinten auf dem Teller könnt ihr die weißen Momos erkennen

Darjeeling liegt im Himalaya und ist umgeben von riesigen Bergen. Aufgrund von starker Bewölkung haben wir davon leider nur wenig gesehen, zweimal hatten wir aber Glück! Eines Abends sind wir hoffnungsvoll auf die Dachterrasse der Hayden Hall (Soziale Einrichtung der Jesuiten für arbeitende Frauen und ihre Kinder) gestiegen. Wir haben die Wolken angefeuert, uns wenigstens einen Blick auf den Kanchenjunga zu gewähren, den dritthöchsten Berg der Welt. Und es hat sich gelohnt, nach einiger Zeit tat sich eine Lücke in den Wolken auf und wir sind staunend auf dem Dach geblieben, bis die Sonne untergegangen war. Darjeeling bei Nacht ist wunderschön, als gäbe es einen zweiten Sternenhimmel direkt im Berg.

Einen zweiten Anlauf haben wir eines Morgens um 2 Uhr gestartet, als wir zum Tigerhill aufgebrochen sind, umgeben von Dunkelheit und den tausenden glitzernden Lichtern der Sterne und des Berges. 3 h Wanderung später haben wir erschöpft den Gipfel des Berges erreicht, wo es eine riesige Aussichtsplatform für den Sonnenaufgang gibt. Glücklicherweise hat das Himalaya uns auch an diesem Tag einen Gefallen getan und seine Schönheit offenbart, wir haben ein fantastisches Lichtschauspiel in weiß, gelb, orange, rosa, rot beim Kanchenjunga beobachtet und in der Ferne sogar den Mount Everest gesehen! Das haben wir dann erst einmal mit dem „Gipfel-Fuse“ gefeiert (Fuse ist ein sehr leckerer Schokoriegel).

Weitere wunderschöne Erfahrungen haben wir im Strive Kindergarten gesammelt, Lydias Arbeitsstelle (Jesuit Volunteer in Darjeeling; sie hatte mich mit Sophie im Januar besucht). Ihre Kinder sehen ganz anders aus als meine, im Norden Indiens haben die Menschen einen sehr asiatischen Look. Selbst viele Inder halten die Menschen aus Westbengal oft für Ausländer, obwohl sie genauso Inder sind wie Menschen aus Kerala oder Tamil Nadu oder Gujarat oder Delhi etc.
Zurück zu den Kindern: sie sind einfach nur zum Knuddeln, so unglaublich süß und tapsig, im Nu haben sie unser Herz erobert! Sie stammen aus schwierigen Verhältnissen und deshalb ist es so schön, dass die Zeit im Strive ihnen hoffentlich einige sorglose Stunden bereiten kann. Lydia macht so viel Quatsch mit den Kleinen und man sieht, dass sie und auch die Kinder so viel Freude aneinander haben!

Ein weiterer Unterschied zu Tamil Nadu waren die Tempel. Im Süden wimmelt es nur so von hinduistischen Tempelstädten und kleinen Haustempeln, im Himalaya begegnete uns aber eine andere Weltreligion: der Buddhismus. Wir haben mehr als eine Monastery besucht, wo buddhistische Mönche in jedem Alter zusammen leben und beten. Die Gebetsfahnen, die sich bunt im Wind wogen und die Straßen und Tempel schmückten, waren ein ganz neues Bild für uns.

Endlich wieder ein Klavier!

Von Darjeeling ging es in ein Taxi gequetscht weiter nach Kalimpong. Uns hat immer wieder erstaunt, wie viele Menschen in so ein Auto passen können, einer hatte immer den Schaltknüppel zwischen den Beinen… Die Fahrt wollte kein Ende nehmen, es ging sehr kurvig auf- und vor allem abwärts, die steigende Temperatur deutlich spürbar. Endlich kamen wir mit etwas flauem Magen in Kalimpong an, wo wir ein Hostel im Stadtzentrum gebucht hatten… dachten wir jedenfalls. Als uns ein weiteres Taxi immer weiter aus der Stadt heraus brachte, wurden wir nachdenklich. So zentral wie gedacht war unsere Unterkunft wohl nicht, aber letztendlich war es ein nettes Häuschen mit einer sehr schönen Dachterrasse.

In Kalimpong haben wir Sophie getroffen, die ihren Einsatz als Jesuit Volunteer an der Gandhi Ashram School leistet. Es ist eine English Medium School, an der alle SchülerInnen ein Instrument lernen. Nach so vielen Monaten habe ich endlich wieder ein richtiges Klavier spielen können, das war so schön! Wir durften sogar bei einer von Sophies Klavierstunden dabei sein und mithelfen, das hat sehr viel Spaß gemacht, zumal ihre Schützlinge wirklich ausgezeichnet Englisch sprechen! Sie hat sich richtig kreative Unterrichtsmethoden einfallen lassen und die Kinder lernen sehr viel von ihr!

Die Schule selbst hat unsere Münder ein wenig offen stehen lassen! Aufgrund eines Erdrutsches wurde die alte Gandhi Ashram School zerstört und musste neu errichtet werden, die Neubauten sind so schön und modern, es werden gerade noch weitere Musikräume errichtet. Einen malerischen Ausblick hat man ebenso, wenn es nicht gerade wolkig ist… Was für uns auch komisch war: die Kinder und Erwachsenen trugen meistens westliche Kleidung, genau so wie an den meisten anderen Orten, die wir im Norden besucht haben. Farbexplosionen von Sarees und Chudidars gab es auf den Straßen nicht. Wir in unseren bunten tamilischen Gewändern sind dort als Südinderinnen aufgefallen…

Ausblick von Sophies Balkon, beim weiter entfernten Gebäude beginnt das Schulgelände

Abi, Samuel, Maria und Magda sind zwei Tage früher aus Kalimpong abgereist, als Chiara und ich. Die letzten beiden Nächte verbrachten wir beiden im Haus eines Lehrers von der Gandhi Ashram School. Seine Frau war super lieb aber konnte nur wenig Englisch, so mussten wir mit den zwei, drei Wörtern auskommen, die wir in Nepali gelernt hatten. Doch ihre Herzlichkeit wurde davon nicht gemindert, sie bekochte uns mütterlich und machte einen sehr guten Tee. Wir sind durch die Dörfer und Wälder in der Gegend geschlendert, haben uns fast verlaufen, besuchten mit Sophie noch eine weitere Monastery, fühlten uns in dem angenehmen Klima wohl und verspeisten ein letztes Mal die leckeren Bohnen und Kartoffeln.

Wandern in der Natur kann man sehr gut im Himalaya!

Dann mussten wir auch von Sophie schon wieder Abschied nehmen, denn es ging für uns weiter nach Varanasi.

Heiß, heißer, am heißesten

Empfangen wurden wir in Varanasi von einer Schar an Rikscha- und Taxifahrern, die uns alle mitnehmen wollten. Wir fanden uns umringt von mindestens 8 Männern, die alle fragten „Where are you going, Mam? Taxi, Mam?“ und nicht locker ließen. Chiara und ich hatten einen Anflug von Tamil Nadu-Heimweh, wo die Rikschafahrer ein „Nein“ akzeptieren und dich in Ruhe lassen. Aber wir waren eben nicht mehr im Süden…

An unserem ersten Tag in dieser besonderen Stadt trafen wir noch einmal auf Abi, Samuel, Maria und Magda, die uns den besten Lassi-Laden der Gegend zeigten und uns erklärten was „Ghats“ sind, bevor sie am Abend ihren nächsten Zug weiter in den Westen erwischen mussten. Ghats stellten sich als Treppen heraus, die in den Ganges führen und als Badestellen genutzt werden.

Unser Hostel befand sich am „Assi-Ghat“, ein wenig entfernt vom Stadtzentrum. Gleich am ersten Tag machten Chiara und ich uns auf zum Toten-Ghat, wo die Leichen-Verbrennungen stattfinden. Ein gläubiger Hindu möchte, wenn er einmal gestorben ist, im Ganges beigesetzt werden. Ein Problem: Man hat nur 24 Stunden Zeit, den Körper vom Todesort dorthin zu bringen, was in den meisten Fällen sehr schwierig ist und es sich deshalb vor allem reichere Leute leisten können. Viele alte Hindus ziehen nach Varanasi um, wenn sie merken, dass es mit ihrem Leben zu Ende geht, denn dann sind sie gleich vor Ort, wenn es passiert. Die Verbrennung ist eine große Zeremonie mit festen Abläufen. Wir trafen einen Mann, der uns sehr viel darüber erzählt hat. Als einzige Frauen beobachteten wir die Verbrennungen (und fühlten uns deshalb auch ein wenig unwohl), denn die weiblichen Angehörigen des Toten dürfen nicht mit zum Toten-Ghat. Ihr Weinen und Wehklagen soll angeblich die Seele des Toten davon ablenken, sich ganz dem Nirwana hinzugeben.

Unsere weiteren Tage in Varanasi lassen sich sehr kurz zusammenfassen:
Schwitzen; darauf warten, dass die Klimaanlage im Hostel angeschaltet wird; antriebslos nach etwas zum essen suchen; sich darüber aufregen, dass wir uns zu nichts aufraffen können; schlafen.
Nur Abends, wenn sich die Stadt abgekühlt hatte, erwachten unsere Lebensgeister und wir beobachteten die Anbetungszeremonien für die Göttin des Ganges. Dabei wurden Gegenstände in Kreisbewegungen zu lauter Musik geschwenkt. Feuerschalen in allen Größen, Muscheln, Blumen, Staubwedel…

Ein Besuch beim bekannten Goldenen Tempel durfte auch nicht fehlen, kostete aber all unsere Kräfte. Wir mussten einmal um die gesamte Anlage herumlaufen, bevor wir den Eingang für „foreigners“ gefunden hatten, dafür, dass wir einen aus unserer Sicht gewöhnlichen Tempel vorfanden mit einer winzigen goldenen Kuppel. In der Hitze konnten wir die Besonderheiten des Tempels wohl nicht so sehr wertschätzen…

Am letzten Morgen wollten wir einmal früh aufstehen und eine Bootstour beim Sonnenaufgang machen. Um 5 Uhr morgens feilschten wir also mit übermütigen Rikschafahrern um einen fairen Preis zum Main-Ghat, als unsere Rettung auftauchte. Ein Kanadier und ein Israeli kamen uns zur Hilfe, als sie uns umringt von vier Fahrern sahen, die alle einen anderen Preis riefen. Die beiden Jungs waren auch unterwegs, um eine Bootstour zu machen, am Assi-Ghat gleich nebenan. Also schlossen wir uns zusammen und ließen die verwirrten Rikschafahrer einfach stehen. Mit Chandler und Geva verbrachten wir einen schönen Morgen auf dem Fluss und beschlossen, uns in Agra wieder zu treffen, wo wir alle als nächstes hinfahren wollten.

Für Chiara und mich wurde es am Bahnhof noch einmal spannend… Aufgrund von widersprüchlichen Gleisansagen für unseren Zug sprangen wir zuerst aus einem anfahrenden Zug, erwischten gerade noch das Ende der Plattform, entschieden uns um und liefen schwer bepackt neben demselben Zug her, nur um wieder aufzuspringen. Wir fühlten uns wie James Bond mit Astronautenrucksack… Zurück im Zug quetschten wir uns rennend durch alle Abteile auf der Suche nach einem Zugschaffner. Die Suche endete erfolglos vor einer verschlossenen Tür, aber glücklicherweise hielt der Zug genau in diesem Moment an, noch immer im gleichen Bahnhof. Wir sprangen wieder hinaus und stellten fest, dass unser eigentlicher Zug vom Gleis gegenüber abfährt. Unsere Nerven waren gut gespannt aber wir hätten nicht glücklicher sein können, nun doch im richtigen Zug zu sitzen.

Ein bisschen traditioneller Tourismus muss schon sein…

Selbst in Indien glauben viele Menschen, das Taj Mahal würde in Delhi stehen… aber eigentlich befindet es sich in der kleinen Stadt Agra, ca. 3 Zugstunden entfernt von der Hauptstadt. Wir machten uns voller Vorfreude auf zu Indiens Wahrzeichen schlechthin. Das pure Weiß des Marmors strahlte uns schon durch das Westtor entgegen und wir staunten über die Atmosphäre, die das Gebäude durch seine Größe und Architektur kreiert. Bisher hatten wir auf der Reise eher weniger „normalen“ Tourismus betrieben, doch das Taj Mahal war natürlich überlaufen von Touristen aus der ganzen Welt, auch aus Indien selbst. Wir knipsten viele Fotos, wie eben alle um uns herum, auch ins Innere kann man hineinschauen.
In der Grabhalle, wo die berühmte Gattin des Großmoguls Shah Jahan beigesetzt wurde, herrscht eine ganz besondere Akustik. Links neben ihrem zentral liegenden Grabstein befindet sich ein weiteres Grab, das die perfekte Symmetrie des gesamten Gebäudekomplexes zerstört… Der Großmogul hatte eigentlich geplant, für sich selbst einen schwarzen Taj Mahal zu bauen, baugleich zum weißen, direkt auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses. So würde er immer in der Nähe seiner Lieblings-Gattin sein. Doch der Bau des weißen Grabmals hatte die Staatskasse so erschöpft, dass sein Sohn dieses zweite Projekt stoppte, seinen Vater in dessen letzten Lebensjahren in ein Zimmer mit Blick auf den Taj Mahal einsperrte, und ihn neben seiner Toten Frau in besagter Grabhalle bestatten ließ.

Im Garten des Taj trafen wir wie verabredet die zwei Jungs von der Bootstour wieder. Unser Kanadier hatte sich leider den Magen etwas verdorben und war ganz blass um die Nase. Die üblichen „One Selfie, Sir, Mam, only one photo please“- Überfälle, an die man sich als Weiße/r in Indien gewöhnen muss, konnte er, geschwächt wie er war, nicht so effektiv abwenden, wie wir anderen. Deshalb setzten wir eine kreative Methode ein: Wenn einer von uns um ein Foto gefragt wurde (das uns mit dem Fragenden und seiner Familie zeigen sollte), antworteten wir: „Ten Rupees“, zehn Rupien. Darauf folgte meist ein verwirrter Blick, dann ein Kichern, unsicher ob wir das ernst meinen oder nicht. Durch die ten-rupees-methode kann man jedoch einfacher um Fotos herumkommen, ohne jemandem vor den Kopf zu stoßen!

Nach einem Lassi mussten wir uns dann ein zweites Mal von unseren Freunden verabschieden, wir konnten nicht ahnen, wie bald wir sie schon wiedersehen würden…

Krise um Mitternacht – unsere Engel

Für uns sollte es am Abend mit einem Zug weitergehen nach Bangalore, wo zwei deutsche Freundinnen von Chiara und Larissa (eine weitere Freiwillige) auf uns warteten. Während des Tages war uns allerdings schon aufgefallen, dass unsere Zugtickets noch nicht confirmed waren, das bedeutet wir standen noch auf der Warteliste für einen Platz im Zug. Verwirrt rief ich in Kuppayanallur bei Dhilip Sir an, der bei so etwas immer weiter weiß. Er beruhigte mich, wir würden vermutlich erst drei Stunden vor der Abfahrt eine SMS mit den Plätzen bekommen. Als mich dann, zwei Stunden vor Abfahrt, aber sein Chef, Father Vincent, anrief, wurde mir klar, da ist etwas schiefgelaufen… Er erklärte mir, was wir für Möglichkeiten hätten, mit wem wir reden sollten am Bahnhof, dass schon alles gut werden würde. Mitsamt Gepäck und Essen für die zweitägige Fahrt machten wir uns also auf zum Bahnhof Agra Fort, den wir wohl nie vergessen werden. Wir klapperten jedes Büro ab, das um 10 Uhr nachts noch offen hatte, rannten von links nach rechts, denn jeder Beamte schickte uns zum nächsten Office, das angeblich für uns verantwortlich wäre. Das Foreigner-office hatte leider schon geschlossen, aber schließlich fanden wir einen jungen Bahnmitarbeiter, der Mitleid mit uns hatte. Er wartete am Gleis mit uns und sprach mit dem Zugschaffner unseres Zuges, ob es nicht doch noch zwei Plätze gebe. Leider waren zu dieser Zeit Wahlen in Nord-Indien und das Militär, das von Bundesstaat zu Bundesstaat zur Beaufsichtigung reist, hatte alle Züge ausgebucht. Keine Chance!

Wir wussten nicht so ganz wohin mit uns, geschockt, dass wir wohl nicht so schnell nach Bangalore kommen würden, wie gedacht. Wir wollten es im nächsten Zug noch einmal versuchen, hatten ein General-Ticket gekauft und stellten uns auf zwei ungemütliche Tage im Sleeper-Abteil ein. Als besagter Zug jedoch einfuhr, tauschten Chiara und ich einen Blick und hatten schon entschieden, dass wir das nicht durchhalten. Der Zug war so überfüllt, dass die Menschen auf den Gepäckablagen saßen und im Gang standen. Bei aller Achtung des „einfachen Lebensstils“, das brachten wir einfach nicht über uns. Nicht 42 Stunden lang. Überfordert standen wir am Gleis, als uns der zweite Engel unserer Reise über den Weg lief. Er verstand unser Problem, sorgte dafür, dass wir das Geld für das General-Ticket zurückbekamen, bestellte uns ein Taxi, wimmelte alle Selfie-Anfragen an uns ab und wollte im Gegenzug: nichts. Nicht mal ein Selfie. Wir kontaktierten unterdessen Geva, unseren israelischen dritten Engel. Er wusste von unserer Krise und war bis ein Uhr nachts aufgeblieben, damit wir ihn zur Not erreichen können. Dann buchte er uns ein Zimmer in seinem Hostel, wo uns das Taxi dann nach Mitternacht hinfuhr. Der Hostel Besitzer zeigte uns das Zimmer, wo bereits drei Betten von Schlafenden belegt waren, indem er alle Lichter anschaltete und lauthals verkündete, wo unsere Betten seien. Schnell knipsten wir alle Schalter wieder aus und schlüpften leise ins Bett, unsere armen Zimmernachbarn! Am Morgen stellten wir fest, dass es sich um Geva, Chandler und einen deutschen Reisenden handelte 😀

Jetzt hieß es, nach Alternativen zu suchen. Alle Züge in den nächsten zwei Tagen waren ausgebucht, Busse fuhren nicht direkt, nicht einmal von Delhi aus, so hätten wir mindestens drei Tage gebraucht. Das Problem: Chiaras Freundinnen waren noch nie in Indien gewesen und warteten auf unsere Ankunft in Bangalore, wir wollten sie dort nicht so lange alleine lassen… nach Flügen suchten wir auch, aber die waren einfach zu teuer, so kurzfristig. Und wieder half uns Geva: „In Varanasi we met a guy in a bar. He is rich, he owns a company, maybe he can help you“. Wir waren etwas skeptisch… Wieso sollte uns ein reicher Inder helfen, den unser israelischer Bekannter ein einziges Mal getroffen hat? Trotzdem versuchten wir es, besagter reicher Inder rief uns zurück, nachdem sein Meeting beendet war. So machten wir Bekanntschaft mit Dave, unserem vierten Engel. Zwischen seinen zahllosen Besprechungen und Terminen suchte er nach billigeren Verbindungen und buchte schließlich eine von Delhi nach Chennai nach Bangalore. Wir hatten ihn noch nie gesehen, aber er hat die Situation für uns gerettet. Den ganzen Tag standen wir mit ihm in Kontakt, fuhren mit einem Zug nach Delhi und hielten am Abend unsere Tickets in Händen. Die Nacht verbrachten wir bei den Jesuiten in Delhi, die ich über eine Freundin aus Chennai kontaktierte. Am nächsten Tag bekamen wir eine Führung durch das Sozialinstitut der Jesuiten und konnten Delhi mit zwei jungen Mitarbeiterinnen erkunden, dann machten wir uns auf zu Chiaras Freundinnen.

Vielleicht versteht ihr jetzt ein wenig, warum wir den Glauben an die Menschheit in diesen Tagen gewonnen haben, wo uns so viele Menschen bedingungslos weitergeholfen haben, einfach, weil wir Hilfe brauchten. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass wir Ausländerinnen und Weiße sind, aber trotzdem hätten wir das nie so erwartet! Danke an alle, die uns aus diesem Schlamassel befreit haben, wir werden uns immer an euch Engel erinnern!

Zurück in den Bergen

Nachdem wir Chiaras Freundinnen Yvonne und Paula, sowie Larissa (Freiwillige in Bangalore) abgeholt hatten, machten wir uns auf den Weg nach Kodaikanal. Das ist eine Stadt in der südlichen Bergregion von Tamil Nadu. Bekannt ist sie für angenehmes Klima in den Sommermonaten und für Kaffee. Wir fühlten uns sofort wohl bei angenehmen 25 °C, unser Hostel war wieder einmal etwas außerhalb auf einem der vielen Berge. So liefen wir manchmal eine Stunde bis hinunter in die Stadt. Aber endlich hatten wir unsere Idlies und Dosai zurück, hörten Tamil in den Straßen, konnten uns verständigen und sahen wieder bunte Chudidars, Sarees und Jasminblumen, soweit das Auge reicht. Wir machten zwei Touren, wobei wir die Umgebung erkunden konnten und zahlreiche Aussichtspunkte besuchten. Bei der Dolphin‘s Nose, einer sehr steilen Klippe, wurden wir von Affen attackiert und rannten schreiend weg, als die Tiere so dreist wurden, an unseren Taschen zu ziehen… Wir hatten sowieso Respekt vor ihnen, seit wir in Darjeeling einen Affen beobachtet haben, wie er einen Spaziergänger ins Bein biss.

In unserer kleinen Gruppe hatten wir sehr viel Spaß und die Anzahl an Dosais, die wir verspeisen konnten, wuchs täglich, sehr zur Belustigung der Köchin unseres Stamm-Imbisses. An einem Tag wurden wir sogar zum Essen in einen Tempel eingeladen, wo gerade ein Fest stattfand. Chiara und ich waren natürlich nicht überrascht, dass uns mal wieder Biriyani auf die Bananenblätter geschöpft wurde!
Wir haben sehr viele Mangos verschlungen, wichtige Kaufentscheidungen über wunderschöne Kleider und Ponchos getroffen und noch einmal richtig schön die Seele baumeln lassen! Dann mussten alle außer Yvonne und mir auch schon wieder heimfahren, unsere gemeinsame Reise, die uns über so viele Wochen zusammengeschweißt hat, war zu Ende.

Ein kleines Andenken haben Chiara und ich uns noch gegönnt… Seit ich in Indien angekommen bin, wurde ich von meinen Mädels überzeugt, dass Ohrlöcher schon etwas sehr Schönes sind. In Kodaikanal haben wir die Piercerin unseres Vertrauens gefunden und so habe ich jetzt meine ersten Ohrlöcher, Chiara hat ein zweites Ohrloch links 🙂

Zen-Meditation in einem Flecken Paradies

Mit Yvonne verbrachte ich noch eine wunderschöne Woche länger in Kodaikanal, im Zen-Meditations-Center „Bodhi Zendo“. Er wird von zwei Jesuiten geleitet, den beiden einzigen zertifizierten Zen-Meistern in Indien. Wie das Christentum und die Buddhistische Zen-Meditation für die beiden zusammenspielen ist sehr beeindruckend, auch wenn ich immer noch nicht ganz verstanden habe, wie das geht. Der Center liegt ganz abgeschieden auf einem Berg, der Ausblick ist malerisch und die Gärten sowie die Umgebung sind wunderschön angelegt. Es hat mich gar nicht gewundert zu erfahren, dass mein pflanzenfanatischer Father Samy aus Kuppayanallur zwei Jahre dort gelebt und selbst viele der Bäume und Blumen gepflanzt hat… Die Anlage ist umgeben von einer riesigen Kaffee- und Bananenplantage. Es war das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie Kaffeebohnen eigentlich wachsen.

Diese beruhigende, naturnahe Atmosphäre hat sehr bei der Meditation geholfen, wobei man einen Zustand des möglichst-wenig-Nachdenkens anstrebt. Er soll nicht erzwungen werden, Gedanken, die kommen und gehen, werden zugelassen. Die Einheiten waren jeweils zwischen 30 und 60 Minuten lang, wobei nach einer halben Stunde immer 5 Minuten gehende Meditation eingeschoben wurde.

Was mir dort am besten getan hat, war die viele Zeit, in der ich keine Verpflichtungen hatte, mich um nichts sorgen oder etwas vorbereiten musste, in der ich ohne schlechtes Gewissen drei Stunden lesen konnte oder schlafen oder nachdenken in einem der schönen Gärten. Es ist so viel passiert in den letzten Monaten, dass eine Pause sehr gut tut. Diese schöne Oase der Ruhe wieder zu verlassen fiel mir einerseits schwer, andererseits wollte ich nichts mehr, als endlich wieder nach Hause ins Hostel zu kommen und alle wiedersehen!

Wieder daheim…

Auf der Busfahrt von Kodaikanal zurück nach Kuppayanallur regte sich in meinem Bauch ein aufgeregtes Kribbeln! Morgen früh würde ich endlich wieder zurück sein, meine Mädels sehen, Manimala in die Arme fallen, wieder im Hostel einziehen…
Als ich durch das Eingangstor trat, musste ich an das erste Mal denken, als ich mit dem Auto hier ankam. Die Allee mit Palmen, der Weg zum Hostel (wo ich jetzt meinen Coconut Tree stets im Blick habe), der sandige Vorplatz von Gracy Illam. Alles war noch genau wie vorher, nur ein bisschen trockener, denn der Mai hat keine Schauer gebracht, nur Hitze. Mir war klar, dass ich nun zum letzten Mal für lange Zeit hierher „heimkommen“ würde…

Die Mädels, Jesuiten und Lehrerinnen wiederzusehen war wunder, wunder, wunderschön! Wenn man jemandem nach langer Trennung wieder in die Arme fällt, weiß man erst, wie sehr man die Person wirklich vermisst hat! Wie groß hier alle geworden sind!
Ich weiß, dass jeder Augenblick, den ich in diesem Land verbringen darf und durfte, ein unglaubliches Geschenk ist. Auch wenn meine Zeit hier bald zur Neige geht, ist es nicht ein Wunder, dass ich überhaupt hier bin? Jetzt gerade? Daran möchte ich denken, wenn ich beim Abschied frustriert und traurig bin…

Bald geht es weiter!

Es hat ja nun doch eine lange Weile gedauert, diesen Beitrag hochzustellen, verzeiht mir! Ich habe den abschließenden Blogeintrag über die letzten Kuppayanallur-Wochen und das Zurückkommen schon fertig und werde ihn (nach dem Bilder-Sortieren) in den nächsten Tagen hochladen. Gerade seid ihr wahrscheinlich erst einmal geplättet von einem Monat Indien querbeeet, das verstehe ich gut, denn so ging es mir auch:)

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