Ich packe meinen Koffer und nehme mit…

Ein letztes, herzliches Vanakkam an euch alle! Die lange Pause tut mir außerordentlich leid, aber mein Kopf war in den letzten Wochen ein großes Durcheinander von Gefühlen… Deshalb habe ich diese Zeit erst mal ein wenig sacken lassen, und melde mich zurück, diesmal aus Deutschland. Zunächst soll es aber um die letzten Wochen und Tage in Kuppayanallur gehen, und was von diesem Jahr bleibt.

Gefüllte letzte Wochen in Gracy Illam

Es ist unglaublich, wie viel sich in einem Jahr ansammelt in den eigenen vier Wänden! Packen war keine sehr leichte oder angenehme Aufgabe, weil es schmerzlich an die bevorstehende Abreise erinnert und außerdem sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Ich war in den letzten drei Wochen in Kuppayanallur so beschäftigt, dass mir im Prinzip nur ein Tag zum Einpacken blieb, bevor ich nach Chennai aufbrach. Ich sortierte während der Schulzeit hektisch alles auf vier Stapel: „Deutschland“, „Hannah“(meine Nachfolgerin), „Mädels“ und „keine Ahnung, was ich damit machen soll“.

Ganz schwach erkennt man die Bodenmarkierungen

Am Nachmittag schenkte ich noch ein letztes Mal meine ungeteilte Aufmerksamkeit meinen 30 Hostelschwestern und Manimala, denn bei allem Packen, sie bleiben doch das Wichtigste für mich! In einer nächtlichen Aktion halfen mir dann vier meiner tapferen Mädels beim Einpacken des Stapels „Deutschland“ in meinen Rucksack und den Koffer. Ohne sie hätte ich wohl bis 5 Uhr morgens gepackt, durch ihre effiziente Packweise (und manchmal auch schonungslosen Entscheidungen, was mit muss und was nicht) konnten wir um 1 Uhr morgens endlich den letzten Reißverschluss zumachen. Danke Mädels, ihr seid einfach der Hammer!

Hier noch ein kleiner Dialog aus besagter Pack-Nacht, der vielleicht zeigt, wie sehr mich die Mädels immer noch im Griff haben/um den Finger wickeln können:

S: „Miiiiss, it‘s not fitting! Very small space in your bag only…“
Ich: „We just have to press a little more!“
F: „Miss, why you have so many things? This India dress you don‘t need in Germany!“
Ich: „Ok, this Saree I will not take with me“

T. nimmt mir den Saree aus der Hand und bestaunt ihn.

T: „Oh Miss, I try this Saree now? Pleeeeease, Samira Miss, only one minute I wear your Saree, pleeeease Miss…!“
Ich: „I don‘t know… it‘s midnight? I finish packing first…“
T: „Ok, Miss, ok, I help you, very fast, Miss!“

Solche Schlawinerinnen… wissen genau, dass ich ihnen nichts abschlagen kann 🙂

Was ich aber letztendlich aus Indien mit nach Deutschland nehme, ist weit mehr als materielle Dinge wie Sarees oder Tee aus Darjeeling. Ich möchte euch einen Einblick geben, von dem, was mir noch lange oder vielleicht für immer bleiben wird. Das Kofferpacken findet auch auf einer psychologischen Ebene statt, in diesem Sinne beginne ich jetzt ein kleines, bekanntes Spiel.

Ich packe meinen Koffer und nehme mit…

… einen Haufen lustiger, ernster (Inder lächeln fast nie auf Bildern), bedeutungsvoller Bilder, die mich für immer an eine unvergessliche Zeit erinnern werden und wie ein Schatz für mich sind.

… hunderte Telefonnummern von TamilInnen, die ich teilweise sehr gut kenne und teilweise nur einmal getroffen habe.

… einen großen Stapel von Zeichnungen, Bastel-Kunstwerken und Briefen meiner geliebten Mädels, die mir so viel Freude und Liebe geschenkt haben, obwohl ich neu in ihrer Kultur war und nur ein wenig ihrer Sprache sprechen kann.

… ein Gespür für umweltbewusstes Handeln und einen geschärften Blick auf westliches sowie mein persönliches Konsumverhalten.

… Stoff zum Nachdenken über Themen wie Gerechtigkeit, Demokratie, Umweltschutz und Bildungssysteme.

… einen Silberring mit einem Herz, für den die Mädels alle zusammengelegt haben, um mir eine Erinnerung an sie zu schenken. Ich trage ihn täglich, doch bräuchte ich keinen Ring um ständig an sie zu denken und sie in meinem Herzen zu tragen.

Ich werde euch in meinem Herzen und an meinem Finger überall hin mitnehmen, meine thangaccis!

… eine Vorliebe für Farben und Vielfalt.

Farbexplosionen, als Kuppayanallur zum eigenständigen Parish geweiht wurde

… ein in Deutschland unbefriedigtes Verlangen nach frischen Mangos und Idly (ufo-förmige, weiße Bällchen aus einem auf Reis basierenden Teig, meine absolute Lieblingsspeise).

… mehr Sicherheit im Begleiten von Liedern auf dem Klavier.

… die Gelassenheit, dass alles schon gut werden wird.

… Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten, die ich im letzten Jahr oft austesten durfte.

… ein Lächeln beim Gedanken an dieses unvergessliche Jahr.

… ein gebrochenes Herz, weil ein Teil davon immer bei den Menschen in Kuppayanallur und Chennai bleiben wird.

My last time as ELT-teacher

Mir zuliebe wurde eine Abschieds-ELT-Assembly veranstaltet, wobei sich alle mal wieder sehr ins Zeug gelegt haben. Ein letztes Mal durfte ich den Prayer-Song einstudieren, ein Theaterstück schreiben und mit 20 SchülerInnen proben, auf den letzten Drücker noch einen „Western Dance with English song“ aus dem Hut zaubern, Gedichte und Reden mit den Kindern Auswendiglernen…

My dancing queens

Es tat gut, noch einmal beschäftigt zu sein, bevor mein Freiwilligenjahr zu Ende geht, auch wenn ich vor lauter Programmpunkten meine Abschiedsrede aus Zeitmangel nicht mehr vorbereiten konnte… Also habe ich aus dem Bauch heraus erzählt, was mir auf dem Herzen lag, das hat mit indischer Spontanität sehr gut funktioniert. Es ging darum, was einen Ort zu meinem zu Hause macht, nämlich Erinnerungen, Beziehungen und das Gefühl, ein Teil der großen Familie zu sein, wo ich geborgen bin. Während ich diese Punkte ausführte, musste ich um Fassung ringen, und es ging nicht nur mir so. Wie betäubt wurde mir klar, dass ein Jahr so schnell vergangen ist und jetzt wohl wirklich das Ende naht! Nie habe ich so viele Tränen vergossen wie am letzten Morgen mit meinen unglaublichen Mädels…

Deutschland – so vertraut und fremd

Ich bin nun schon einige Zeit wieder zurück in Deutschland und doch mit den Gedanken oft noch ganz weit entfernt… Jede Nachricht aus Indien macht mich unglaublich glücklich, denn es erinnert mich daran, dass das vergangene Jahr wirklich stattgefunden hat und das Leben in Kuppayanallur weitergeht. Der Alltag ist eine Falle, in die auch ich hier im vertrauten Nürnberg wieder tappe. Da tut ein Wachrütteln gut, denn ich habe einen neuen Blick auf so viele Dinge erlangt, den ich jetzt nutzen möchte.

Wenn ich durch die Nürnberger Straßen laufe, fragt eine Stimme in meinem Kopf, wo sind die Hupen, die Tuktuks, wieso fahren alle rechts, es ist so leer hier… aber gleichzeitig hat sich doch so wenig verändert.

Wenn ich im Supermarkt einkaufen gehe, macht mich die Flut an Plastik ganz krank, die mir von den Regalen entgegen glitzert. Wo soll das hinführen, wenn wir täglich ohne nachzudenken mindestens drei, wenn nicht noch viel mehr Plastikverpackungen wegschmeißen (sei es eine Flasche, eine Einkaufstüte, ein Müsliriegel-Papierchen, Frischhaltefolie, eine leere Käseverpackung, etc.). Auch wenn das „Problem“ nach dem Wegschmeißen im Mülleimer aus unserem Sichtfeld verschwindet, so bleibt es doch noch Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte auf dieser Erde, weil es sich kaum zersetzt. Jedes einzelne Müsliriegel-Papierchen.

Wenn ich in der Ubahn sitze, schauen alle auf Handys, sehen gehetzt oder grimmig aus, alle in schwarz, weiß oder grau gekleidet. Kein interessiertes Lächeln von meinen Sitznachbarn mehr, keine Gelassenheit sondern nur noch Terminstress-Gesichter, kaum Farben, keine Sarees. Diese Dinge vermisse ich wirklich sehr…

Wenn ich auf Radtour bin, ein Schwimmbad besuche, einen Ausflug mache, denke ich daran, wie sehr meine Mädels aus dem Gracy Hostel das genießen würden. Wie viel Spaß sie dabei hätten. Denn solche Freiheiten und Möglichkeiten wie ich sie hier in Deutschland besitze, werden sie nie haben, weil sie auf einem anderen Flecken der Erde geboren wurden. Meine Privilegien als westliche Frau wurden mir in Indien, aber auch jetzt zurück in Deutschland, so stark bewusst.

Ich möchte, dass das Jahr in Kuppayanallur noch lange in mir weiterlebt und mein Handeln sowie meine Entscheidungen beeinflusst…

Mikka Nandri

Ich möchte mich bei der Jesuitenmission in Nürnberg ganz herzlich bedanken! Durch Euch haben wir Freiwilligen diese einzigartige Chance bekommen, ein Jahr anders zu leben. Wir können uns glücklich schätzen, bei den Jesuiten immer ein Stück zu Hause zu sein. Danke Sarah, für Dein offenes Ohr und dafür, dass man sich immer auf Dich verlassen kann!

Auch, wenn es keiner von ihnen lesen wird, will ich ein ganz großes Dankeschön nach Tamil Nadu schicken, wo mich so viele Menschen herzlich aufgenommen, unterstützt und mich so akzeptiert haben, wie ich bin.
Father Dominic, mein Mentor, war stets in väterlicher Sorge um mich und hat mir sehr viel Halt gegeben.
Meine Jesuits in Kuppayanallur, die mir zu liebe ein Jahr lang Englisch beim Essen geredet haben, und ganz besonders Father Samy, von dem ich so viel lernen durfte.
Unsere tollen Lehrerinnen haben sehr viel mit mir geteilt, Geschichten, Ideen, Sarees, Essen…
Natürlich meine Mädels, die immer hinter mir standen und die dieses Jahr so unvergesslich schön gemacht haben.

Bedanken möchte ich mich auch bei allen Lesern dieses Blogs, ich bin wirklich sprachlos wie viele Leute hier fleißig mitgefiebert und sich auf eine andere Welt eingelassen haben! Danke für euer Interesse, eure Kommentare und für eure Offenheit.

Und schließlich Danke an meine Eltern, meine Freunde und Familie, denn ich konnte meine schönen, aufregenden, traurigen, wütenden, verwirrten, lustigen Momente immer mit euch teilen, wenn ich es gebraucht habe.
Und auch Danke, dass ihr mich wieder so lieb hier bei euch aufgenommen habt, auch wenn ich mich vielleicht verändert habe!

Der Gedanke soll weiterleben

Ich wollte mit diesem Blog zum Nachdenken anregen, von ganz weit weg ein Lächeln auf eure Gesichter zaubern und selbst über das reflektieren, was ich erleben durfte. Hoffentlich ist mir das gelungen und die Geschichten und Erkenntnisse können in euch noch ein bisschen weiterleben.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal an das Spendenkonto für Kuppayanallur und auch auf die Spendenmöglichkeit für das Freiwilligen-Programm „Jesuit Volunteers“ erinnern.
Es ist schon einiges an Spenden zusammengekommen. Ein riesiges Dankeschön vor allem an die Gemeinde St. Josef, die meinem Einsatz bei so vielen Gelegenheiten gedacht und in Aktionen wie dem Osterkerzenverkauf Spenden gesammelt hat! Aber es waren auch so viele Einzelpersonen, die etwas weitergeben wollten an meine Mädels und die vielen SchülerInnen der Loyola Higher Secondary School.

Sowohl Kuppayanallur, als auch Jesuit Volunteers können eure Unterstützung wirklich gut gebrauchen und werden jeden Euro gewissenhaft einsetzen. Ich füge noch einmal die Adresse der Spendenkonten an:

Empfänger: Jesuitenmission
IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82 (Liga Bank)
BIC: GENO DEF1 M05

1) Um die Loyola Higher Secondary School und die Hostels in Kuppayanallur direkt zu unterstützen, sollte folgender Verwendungszweck angegeben werden:
X38284 Samira Löw

2) Für Spenden an das Freiwilligenprojekt Jesuit Volunteers lautet der Verwendungszweck:
X38000 Freiwilligendienst

Wer seine Adresse im Verwendungszweck mit angibt, bekommt eine Spendenquittung per Post zugestellt.

Romba Sandhosham meine Lieben, es war eine Freude, euch bei meinem Freiwilligendienst dabei zu haben! Macht es gut, eat well, take rest and may God bless you all…

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