„Everyone or everything in the universe is a teacher to someone or something“
… war die Nachricht, die mir Father Roche (ein befreundeter Jesuit aus Chennai) anlässlich des Teacher‘s Day geschrieben hat. Der wurde am 05.09. in ganz Indien groß gefeiert und hier in Kuppayanallur wurden die LehrerInnen geehrt, haben Geschenke bekommen und ihnen wurden Tänze, Lieder und Theaterstücke vorgeführt. Alle haben sich für diesen Tag herausgeputzt!
Wie wahr die Worte in der Überschrift sind, habe ich seit meiner Ankunft in Indien jeden Tag gespürt. Seien es die Jesuiten, die mir Tamil beibringen und Ernährungs-Tipps geben. Seien es meine Mädels, die mir zeigen wie man „richtig“ Wäsche aufhängt, den Boden fegt, einen Schal trägt. Sei es der Schlafraum der Hostel-Kinder, der mir vor Augen führt, wie privilegiert und behütet ich bisher gelebt habe/auch hier noch lebe in meinem eigenen Schlafzimmer mit Bett und Badezimmer. Sei es ein Teller mit Biriyani im Haus meiner Freundin und Lehrerkollegin Raji, der mir die indische Gastfreundschaft und Großherzigkeit zeigt. All dies trägt dazu bei, dass ich mehr lerne über Indien, über Zwischenmenschlichkeit, über mich.
Was für ein anspruchsvoller Job der des Lehrers ist, ist mir viel bewusster geworden, seit ich hier jeden Tag vor einer Klasse stehe, statt als Schülerin selbst im Unterricht zu sitzen! Es ist eine Herausforderung, so viele SchülerInnen ruhig zu halten und sie zum Zuhören zu bewegen. Meine Klassen sind nur aufmerksam, so lange ihr/e Englischlehrer/in noch mit im Klassenzimmer ist. Manchmal bin ich mit einer Klasse alleine, dann bin ich schon froh, wenn die Hälfte der SchülerInnen auf ihren Plätzen sitzen bleibt und nicht zu mir nach vorne rennt, um mich(zum zehnten Mal) über meinen Namen, mein Alter, meine Eltern etc. auszufragen, statt dem Unterricht zu folgen…
Ich finde es auch schwer, mir ständig kreative neue Übungen auszudenken, um das spoken English der SchülerInnen zu verbessern. Mit 40 Kindern in der Klasse ist es unmöglich, dass jeder in der Stunde einmal an die Reihe kommt! Auch sind viele zu schüchtern oder ängstlich, um vor der Klasse Englisch zu sprechen.
Trotzdem ist es auch schön zu sehen, wenn SchülerInnen wirklich interessiert und mutig sind (d.h. sie trauen sich, Fehler zu machen), sodass sich ihr Englisch stetig verbessert.
Ich war bis vor 2 Monaten ja selbst noch Schülerin und muss noch viel über das Lehrersein lernen, aber es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen…
Das Hostel mit meinen frechen, zuckersüßen Mädels
Abgesehen von den vielen Feiertagen ist für mich hier in Kuppayanallur schon der Alltag eingekehrt. Nach der Messe und dem Frühstück habe ich vor und nach meinem Unterricht viel Zeit für mich, die ich meistens mit Schlafen, Lesen, Tamil lernen oder am Keyboard verbringe. Nach der Schule wird mein Zimmer von Mädels gestürmt, die mir Frisuren machen, etwas Spielen oder mir aufgeregt etwas erzählen wollen 🙂 Mein Zimmer hat ein Fenster auf den Gang, das man nur von außen öffnen kann (und das keinen Riegel hat). Wenn ich auf ein Klopfen an der Tür nicht innerhalb von 3 Sekunden reagiere, wird das Fenster quietschend aufgeschoben und mehrere neugierige braune Augenpaare prüfen, warum ich denn so lange brauche…
Zu Beginn der Playtime jogge und sprinte ich mit den Mädels inzwischen dreimal um den Platz, um der hier leider vorherrschenden Meinung entgegenzuwirken, dass die Hostel-Mädchen im Gegensatz zu den Hostel-Jungs so faul wären. Ich finde dieses Urteil etwas unfair, weil es für die Jungs einen Basketballplatz, einen riesigen Playground, den Hof vor dem Boys-Hostel und den großen Pausenhof gibt, um sich sportlich zu betätigen. Den Mädchen steht nur eine Wiese und ein kleiner Vorplatz neben dem Girls-Hostel zur Verfügung. (Anmerkung: es gibt etwas mehr als 100 Jungen im Hostel und nur 37 Mädels, aber trotzdem…)
Bei den Studytimes bin ich inzwischen nicht nur Englisch-Nachhilfelehrerin, sondern auch bei Hausaufgaben in Mathe und Science (Physik, Chemie und Biologie) wird Samira Miss gefragt. Ich kann es dann zwar nur auf Englisch erklären, aber irgendwie schaffen wir es uns zu verständigen.
Es ist wirklich schwierig, allen Mädels gerecht zu werden. Wenn mir im Vorbeigehen 2 Mädchen zuflüstern: „Miss, sooo big English homework! Evening Study you come?“, zwei Minuten später die 10. Klässlerinnen kommen und verzweifelt: „Soo confusing Maths, Miss! Please help“ rufen und ich aber ursprünglich Aarthi aus der 7. Klasse versprochen habe, mit ihr lesen zu üben, dann sehe ich den Streit schon vor mir! Aber mit ein bisschen Multi Tasking hat es bisher noch immer geklappt 🙂
Nach der Night Studytime gehen wir um 22 Uhr alle ins Bett, aber es vergeht kaum ein Abend an dem ich um kurz nach 10 nicht noch einen kleinen nächtlichen Besuch bekomme von zwei oder drei niemals-müden Schülerinnen. In Deutschland habe ich als einziges Kind bei meinen Eltern gewohnt und es war viel leichter, sich auch mal zurückzuziehen. Nun ständig in Gesellschaft von 37 kleinen Schwestern zu sein, ist ungewohnt für mich, aber sehr oft auch im positiven Sinne! Es wird mir nie langweilig im Hostel und wir machen viel Quatsch (wenn die Sister gerade nicht so genau hinschaut 😉 ).
Vor einer Woche war an der Schule eine große Aktion, bei der entlang des Feldweges ins Nachbardorf Ongur mehrere hundert Palm Trees gepflanzt wurden. Die Schüler (vor allem die Jungs) durften Löcher für die Samen graben, störende Büsche und Bäume zurückschneiden, die Säcke mit den Samen tragen… Den ersten Baum hat der Superior der Jesuitenkommunität, Father Masilamani, gepflanzt. Anschließend hat jeder Schüler 5-6 Samen in die Hand bekommen und konnte sie in einem der vielen Löcher vergraben.
Angestoßen hat das Projekt Father Anthony Samy, der gerade seine Doktorarbeit in Botanik abgeschlossen hat. Beim Essen zeigt er mir jeden Tag neue Früchte oder Gemüsesorten und teilt sein Wissen über Farming mit mir. Als er neulich von einem Besuch bei seinen Eltern in den Bergen zurückkam, hatte er allerlei Leckereien mitgebracht: Avocados, rote (!) Bananen, Feigen und Jackfruits. Die Jackfruit ist eine RIESIGE Frucht, deren Fruchtfleisch (nach meinem Geschmack) schmeckt wie Gummibärchen. Man bekommt im Flachland nur selten die Chance sie zu kosten, und so schwebten die Jesuiten, die Sister und ich für eine Woche im 7. Jackfruit-Himmel (so lange haben die drei „kleinen“ Jackfruits gereicht, die Father Samy mitgebracht hat…)
Let it be, auch wenn es schief ist 🙂
Musik in Tamil Nadu funktioniert anders als in Europa. Meine Überraschung war groß, als ich bemerkt habe, dass niemand Noten benötigt! Im Gesangbuch für den Gottesdienst sind ausschließlich Texte, die Melodien sind in den Köpfen der Gemeinde gespeichert. Der Schulleiter, Brother Kulandai Raj, komponiert in seiner Freizeit gerne. Er nimmt Texte, wie z.B. das Gebet von Papst Franziskus aus Laudato Si zum Schutz der Erde, und komponiert dann im Kopf die Melodie dazu, ohne sie aufzuschreiben!
Für mich ist es sehr schwer, mich von Noten oder zumindest Akkordangaben zu lösen. Nur vom Hören eine Melodie auf dem Klavier zu spielen, ist wirklich herausfordernd! (Vor allem bei den vielen Schlenkern, die typisch für indische Musik sind)
Anlässlich des Annual Days der Loyola Higher Secondary School habe ich mit 6 Mädels „Let it be“ von den Beatles einstudiert. Voller Motivation haben wir uns in die Proben gestürzt, bald habe ich bemerkt, dass wir es wohl bis zur Aufführung nicht schaffen würden, dass alle in der gleichen Tonart beginnen 🙂 Doch die Mädels haben ihr bestes gegeben und ich bin immer wieder erstaunt, wie kräftig und inbrünstig sie den Song singen können! Vor der Aufführung gab es eine Generalprobe des Tagesprogramms, bei der alle Performances (Drama, Pantomime, Gesang, Tänze, Reden etc.) in der richtigen Reihenfolge vorgeführt wurden und nach jedem Showact haben die Jesuiten ihr sehr kritisches Feedback gegeben. Doch Kritik kann auch ein Ansporn sein, noch mehr zu geben! Ich bin stolz auf meine Sängerinnen, wir haben uns immer weiter gesteigert! Und es kann eben nicht jeder singen wie Paul McCartney…