Schöne unruhige Zeiten

Endlich habe ich mal wieder Zeit gefunden, einen neuen Beitrag für euch zu schreiben, bitte verzeiht mir die lange Pause. Die letzten Wochen waren sehr stressig, ereignisreich, wunderschön und bereichernd, es ist so viel passiert. Jetzt, Ende März, beginnt die letzte Klausurenphase in diesem Schuljahr, das bedeutet (zumindest für mich) weniger Arbeit. Die älteren SchülerInnen schreiben gerade ihre „Public Exams“, das ist wie das Abitur, nur schreibt man es hier dreimal, einmal in der 10., einmal in der 11. und nochmal in der 12., natürlich mit jeweils unterschiedlichem Stoff. Schon sehr bald sind sie damit fertig und verlassen die Schule und das Hostel, am 10.April ist dann auch für die Kleineren alles vorbei und sie gehen in die Ferien. Ich werde sie unglaublich vermissen, ohne SchülerInnen ist der Campus leer und traurig still. Ich weiß nicht, wer und wie viele Mädels nächsten Juni ins Hostel zurückkehren, deshalb ist es für mich jetzt schon wie ein Abschied… Aber spulen wir nochmal ein paar Wochen zurück in den Februar, denn da war noch alles voller Leben und in Aktion!

Neue alte Bekannte

Anfang Februar kamen zwei ganz besondere Besucher in Kuppayanallur an: Teresa und Freund Sebastian. Teresa hat 2016/17 wie ich für ein Jahr im Gracy Illam Hostel gewohnt und wollte nun ihre Freunde und die Mädels besuchen. Es war ein freudiges Wiedersehen und für mich war es auch wirklich schön, sie persönlich kennenzulernen. Wir hatten eine tolle Woche gemeinsam und haben uns über so viele Dinge ausgetauscht! Wenn ich eines Tages hier her zurückkehre und genauso herzlich und freudig von allen empfangen werde wie sie, wäre ich sehr glücklich. Ihr Besuch hat mir nochmal deutlich vor Augen geführt, dass es auch ein Leben nach dem Einsatz gibt (ich bin hier wie in einer Blase, da kann das schon mal in den Hintergrund geraten), aber dass man selbst entscheiden kann, was und wie viel man mitnimmt aus diesem ganz besonderen Jahr.

ELT-Assembly

Während ihrem Besuch liefen auch die Vorbereitungen für die große ELT Assembly auf Hochtouren. Normalerweise habe ich eine Schulstunde pro Tag und ansonsten vormittags oder nachmittags frei. In den zwei Wochen vor der Assembly gab es aber so viel zu tun, dass ich nach dem kompletten Tag in der Schule und noch Gamestime, Evening Study und Night Study immer hundemüde ins Bett gefallen bin. Ich habe großen Respekt vor meiner Freundin Manimala Miss, die das jeden Tag ohne Pause durchzieht!
Bei der Assembly war ich verantwortlich für einen Sketch, den Prayer Song und einen „Western Dance“ (=einfach ein Tanz zu einem englischen Lied mit „westlichen“ Tanzschritten, aber auf keinen Fall darf es anzüglich sein…).
Den Sketch habe ich für ca. 20 SchülerInnen geschrieben und ich wollte Kinder aus allen drei ELT-Jahrgängen (6. bis 8. Klasse) dabei haben. Da es ein 15 min Theaterstück war, mussten wir sehr sehr viel proben, wir hatten ein einhalb Wochen Zeit. Da ich wirklich keine große Autoritätsperson bin, waren die meisten Proben sehr chaotisch, aber wir haben es gut über die Bühne gebracht und ich bin super stolz auf meine Kinder! Beim Prayer Song haben die Mädels leider in einer anderen Tonart angefangen (und sie bis zum Ende durchgezogen) als ich auf dem Klavier gespielt habe, aber was soll‘s. Kleinigkeiten wie diese gehören eben dazu in Kuppayanallur und ich habe gelernt, die Freude am Singen hinter den oft vielleicht etwas schiefen Tönen zu hören, wie es auch die anderen tun. Der Tanz zu „Can‘t stop the feeling“ wurde von mir und Manimala Miss gecoacht, aber weil sie den ganzen Tag im Office beschäftigt ist, habe ich in der Schulzeit mit meinen dürftigen Tanzkünsten alleine versucht, das Bestmögliche aus den Mädels rauszuholen. Erst zwei Tage vor der Assembly wurde entschieden, dass es überhaupt einen Tanz geben soll, deshalb mussten wir etwas schnelller vorankommen. Aber mit ein bisschen indischer Gelassenheit hat es doch super geklappt!

Probier‘s mal mit Gemütlichkeit

„Inder haben ein anderes Verständnis von Zeit, Pünktlichkeit ist ihnen eh egal“

Dieses Vorurteil ist mir viel begegnet, als ich mich auf meinen Einsatz vorbereitet und davon berichtet habe. Das Problem mit solch pauschalen und wertenden Aussagen ist, dass sie nicht in die Tiefe gehen und meist nur die negativen Seiten einer Sache beleuchten.
An der Loyola H.Sec.School wird, wie an jeder deutschen Schule auch, sehr auf Pünktlichkeit geachtet! Jeder, der zu spät kommt, muss einen Apology letter schreiben und womöglich vor dem Klassenzimmer statt drinnen sitzen. Wenn im Hostel die Study Bell klingelt, springen alle auf und wuseln durcheinander, zum einen wegen dem durchdringenden und unangenehm lauten „Drrrrrrr“ der Glocke, zum anderen, weil jedem bewusst ist was für schwerwiegende Konsequenzen Zu-Spät-Kommen haben kann.
Außerhalb des Schul- und Hostelalltags ist jedoch schon etwas von diesem angedeuteten „anderen Verständnis von Zeit“ zu spüren. Aber gar nicht unbedingt im negativen Sinne, es ist oft wirklich entspannt zu wissen, dass mein Gegenüber es mir kein Stück übel nimmt, wenn ich 10 Minuten später als verabredet auftauche. Es wird nicht mal erwartet, dass man um Punkt 6pm ankommt, wenn man sich für 18 Uhr verabredet hat. Das Leben ist viel weniger stressig wenn man nicht dauernd panisch auf die Uhr schauen muss. Ein dazu sehr passendes Bild ist entstanden, als mir irgendjemand in der Studytime einen rosa Smiley auf die Armbanduhr geklebt hat, sodass ich das Ziffernblatt nicht mehr sehen konnte. Erst war ich genervt und wollte den Sticker abmachen, dann dachte ich mir, genau so funktioniert Zeit hier! Warum ist es denn so wichtig, ob ich noch 10 oder 20 Minuten für etwas Zeit habe. So lange es mir dabei gut geht was ich mache, ist es doch viel schöner, von einem Smiley angelächelt zu werden, als ständig das ungnädige Ticken der Zeit vor Augen zu haben.

Inzwischen habe ich ihn wieder abgemacht:D

Und das Nicht-auf-die-Uhr-Schauen kann helfen, sich mehr Zeit für kleine Momente zu nehmen, vielleicht noch schnell jemandem ein Pflaster bringen oder eine Matheaufgabe erklären, obwohl man um 3 mit einer Freundin verabredet ist.
Versteht mich nicht falsch, ich bin bis heute kein unpünktlicher Mensch geworden und ich bemühe mich wie immer, Zeiten einzuhalten. Man sieht mich auch von Zeit zu Zeit über den Campus rennen, wenn ich das Gefühl habe, ich wäre zu spät dran. Außer mir rennt nie jemand und oft wird mir gesagt „Slow, slow, you will fall“.
Aber ich habe glaube ich trotzdem mehr Gelassenheit erlangt, z.B. falls es eben einmal nicht klappt, dass wir genau um 11:15 Uhr losfahren. In Deutschland entsteht nicht selten ein Streit wegen zu spätem Loskommens, hier wird erst gar kein Problem daraus gemacht. Ich will allerdings nicht leugnen, dass mein Inneres manchmal „Komm, ein bisschen schneller, schneller, schneller“ ruft, wenn ich mit Manimala irgendwo hingehe, und sie gemütlich noch ihre Haare fertig macht, dann gemächlich wie eine Königin die Treppen heruntergeht und nicht schneller als Schritttempo läuft. Meistens bin ich 5 Schritte voraus, bemerke, dass ich gerannt bin, renne wieder zurück, sage „sorry“ und denke „FASTER PLEASE!“, versuche mich ihrem Tempo anzupassen, renne wieder etc.

Eine kulinarische Überraschung

Mein Mentor Fr. Dominic kam Ende Februar mit zwei Gästen aus UK nach Kuppayanallur und wir haben darüber geredet, was ich denn so vermisse an Deutschland. Neben meinen Freunden und meiner Familie ist mir vor allem eines eingefallen: richtiges, deutsches, hartes, dunkles Brot! Bei uns in Kuppayanallur gibt es jeden Sonntag „Brot“ im Fatherhouse, es ist wie Milchbrötchen in Toastbrot-Form und schmeckt süß! Seit 7 Monaten haben meine Fathers mich schon gefragt: „Na aber was ist denn jetzt eigentlich deutsches Brot?“, so wirklich gut konnte ich es aber nicht erklären. Die Gäste und Dominic sind dann weiter nach Pondicherry gefahren am Morgen. Meine Überraschung war groß, als er am Nachmittag wieder auf der Matte stand, diesmal mit einer großen Tüte! Heraus ragten zwei Baguettes, doch ich dachte das wäre nur Einbildung… Aber nein, die drei sind in Pondicherry extra für mich auf die Suche gegangen und haben eine Französische Bäckerei gefunden! Sie haben gefühlt von allem etwas mitgebracht, es war eine Wundertüte der europäischen Backkunst! Vollkornbrot, Weißbrot, Körnerbrötchen, Baguette, Fladenbrot, ich war ganz aus dem Häuschen:) Ich liebe die tamilische Küche wirklich, es gibt keinen Ort wo mehr Liebe und Verstand im Essen steckt, aber nach 7 Monaten Brotentzug hat mir diese Tüte wirklich ein großes Lächeln geschenkt.

Eine kleine Auswahl aus meiner Brottüte

So viel Brot konnte ich natürlich nicht alleine essen und so haben wir zum Frühstück diesmal echtes Brot und Brötchen gegessen und an einem Abend hat Father Samy mit dem Fladenbrot in der Mikrowelle Pizza gemacht (wir haben keinen Ofen). Hähnchen, Zwiebeln, Würstchen, Sandwich-Käse, Tomaten und Koriander sind vielleicht kein typisch italienischer Belag, aber geschmeckt hat es trotzdem!

Kurze Ergänzung zu den Gästen aus UK: ich habe mich inzwischen komplett eingehört im indischen Englisch, mir wird sogar nachgesagt ich hätte selbst ein gutes Indian English drauf. Die zwei Damen aus UK habe ich dagegen nur mit wirklich hoher Konzentration verstehen können, häufig musste ich noch einmal nachfragen. Nach dem Abendessen mit ihnen saß ich noch mit Father Dominic und Father Samy zusammen und Dominic fragte mich ganz verzweifelt: „Samira, verstehst du die wenn sie reden?“. Ich habe ehrlich zugegeben: „Nee, das ist so schwer!“, woraufhin er einen mitleiderregenden Blick aufgesetzt hat und mir erzählte, dass er eine GANZE Woche mit den Beiden unterwegs ist und meistens keine Ahnung hat, was sie ihm erzählen:D

Eine Auszeit zum Austausch

Im Rahmen des Freiwilligeneinsatzes ist es Pflicht, ein Zwischenseminar im Einsatzland zu besuchen. Mein Zwischenseminar fand Ende Februar in Trichy statt, einer Stadt in Tamil Nadu. Meine Anreise war also relativ kurz, während andere aus dem Norden mehr als 2 Tage mit dem Zug dorthin gebraucht haben. Wir waren eine Gruppe von 23 Volunteers aus Deutschland, die alle für ein Jahr in Indien im Einsatz sind. Geleitet wurde das Seminar von drei TeamerInnen, die extra für uns aus Deutschland eingeflogen sind. Wir hatten eine intensive Woche zusammen, in der wir sehr viel geredet haben. Es tat so gut sich mit anderen auszutauschen, die in der gleichen Situation sind wie man selbst und wir haben die Zeit gut genutzt. Wir haben gegenseitig unsere Projekte kennengelernt und uns über Probleme aber auch schöne Erfahrungen unterhalten. Es gab so viel Raum für Gespräche, dass wirklich jeder seine ganz persönliche Situation erläutern konnte. An zwei Tagen haben wir auch ein bisschen Sight Seeing gemacht und zwei Tempel in Trichy (einer war auf einem großen Felsen mitten in der Stadt mit tollem Ausblick) sowie den Thanjavur Tempel und Velankanni besucht. Velankanni wurde mir schon von sehr vielen hier empfohlen, es ist ein Marienwallfahrtsort, dem viele Wunder im Zusammenhang mit Mother Mary nachgesagt werden. Es gab beispielsweise eine Flut und die einzigen Überlebenden waren die, die Zuflucht in der Basilika gefunden hatten. Oder ein Schiff mit portugiesischen Kolonialisten, das in Seenot war, soll in der Nähe des Strandes in Velankanni nach einer Erscheinung von Mother Mary gerettet worden sein.

Ich bin sehr dankbar für dieses schöne Seminar und die Gemeinschaft mit den anderen Freiwilligen. Es war wie eine kurze Pause zum Durchschnaufen und den-Kopf-frei-machen.

Da meine JV-Betreuerin Sarah das Seminar in Indien mitgeleitet hat, hat sie danach noch mein Projekt und auch die Einsatzstellen in Darjeeling und Kalimpong besucht. Zwei Tage lang waren wir beide direkt im Anschluss an das Seminar mit Fr. Dominic auf Erkundungstour in Tamil Nadu, er hatte wirklich viel vor mit uns. Wir sind nach Mahabalipuram, Kuppayanallur, Acharapakkam(Schrein bei dem ganz viele Wunder passiert sein sollen), Pondicherry, Vettavalam und Ranipet gefahren, dann wurde ich wieder in Kupp. abgesetzt und Sarah ist mit Fr. Dominic nach Chennai. Es waren sehr ereignisreiche und schöne Tage, natürlich habe ich mich aber auch wieder auf mein eigenes Bett und meine Kuppayanallur-Familie gefreut, die ich in den 12 Tagen sehr vermisst habe!

Home is where your heart is

Mitte März kam schon wieder Besuch für mich, meine Eltern und Edith (aus St.Josef) haben die lange Reise nach Indien angetreten, um mein zweites Zuhause und diese ganz besondere Kultur kennenzulernen. Ich habe mich total gefreut sie zu sehen und ihnen alles zeigen zu können! Sie wurden auch schon sehnlichst erwartet, zwei Tage vor ihrer Ankunft fing es an, dass ich ununterbrochen von allen Mädels gefragt wurde, ob meine Eltern denn schon da wären. Ihr Ton wurde immer vorwurfsvoller, als würde ich meine Eltern in meinem Zimmer vor ihnen verstecken oder so:) Hunderte „My guests come on Friday iravu (=Nacht)“ später war dann endlich wirklich Freitag Abend und nach dem Kreuzweg, der in der Fastenzeit jeden Freitag stattfindet, saß ich beim Abendessen wie auf heißen Kohlen. Es gab „Kanchi“, was eigentlich nur Reis mit Wasser ist, aber Freitag ist immer „Fastentag“ und es gibt einfaches Essen (schmeckt trotzdem super). Die Jesuiten wollten meinen Gästen für ihr erstes Abendessen in Kuppayanallur aber doch etwas anderes als Wasserreis bieten, also wurden extra noch Nudeln und Dosai gemacht!
Vier Tage waren meine Eltern und Edith bei mir in Kuppayanallur, haben die Schule und das Hostel gesehen, Lehrerinnen, Mädels und die Jesuiten kennengelernt und sind mit mir nach Ongur, Uthiramerur und Kanchipuram gegangen.
Danach sind wir noch zusammen in Chennai gewesen für 3 Tage, bevor sie von dort wieder abgeflogen sind. Danke für euren Besuch ihr drei, es war wunderschön euch wieder zu sehen und in die Arme schließen zu können! Meine zwei „Zuhauses“ waren für eine kurze Zeit wie vereint…

Wir hatten ein nettes Abendessen mit Father Dominic 🙂

Alltags-Anektdoten aus dem Gracy Hostel

Auch wenn so viele „außergewöhnliche“ Dinge passiert sind in letzter Zeit, geht das Leben im Hostel doch trotzdem Tag für Tag seinen normalen Lauf. Aber jeden, und zwar wirklich jeden, Tag gibt es Momente, die mir in Erinnerung bleiben, die mich zum Lachen oder zum Weinen bringen, die wertvoll sind. Eines Tages im Februar haben die Kleinen (6. -8.) im Hostel z.B. beschlossen: uns ist die Dutytime zu langweilig, jeder fegt täglich sein eigenes Stück Boden wie vorher aufgeteilt, aber es geht doch auch anders! Die Aufregung war groß, als Nishanti mit einer neuen Idee ankam: joined duty, das heißt alle schließen sich zusammen und die große Gruppe fegt den gesamten Vorplatz gemeinsam. Das macht mehr Spaß und ist auch viel schneller, die Duty dauert jetzt 10 min, während sich vorher die letzten manchmal eine halbe Stunde gequält haben! In einem Kaufhaus habe ich neulich einen Satz gelesen, der schön zusammenfasst, was die Mädels an jenem Februartag gelernt haben: „None of us is as strong as all of us“, keiner von uns ist so stark wie wir alle zusammen.

In der Studytime bin ich jetzt vor allem für die 6.Klässlerinnen zuständig, was sehr chaotisch ist weil sie wirklich alles tun außer lernen… ich muss oft streng sein und sie auseinander setzen, weil sie ziemlich laut sein können, aber das Problem ist, dass ich gleichzeitig eigentlich auch lachen muss. Die Methoden, wie man unbemerkt Snacks von der Schultasche in den Mund befördert, sind zahlreich und sehr ausgereift, aber ich erwische sie trotzdem meistens! Oft macht irgendjemand ein Pupsgeräusch nach und eine fängt an zu kichern, daraufhin prusten auch die anderen los. Manchmal sprechen sie sich ab und fangen alle gleichzeitig an zu weinen, natürlich nur gespielt, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen, dass ich sie zum lernen ermahne. Aber nicht mit mir, kleine Kinder sind oft wirklich leicht zu durchschauen. Meistens reicht es schon, wenn ich eine Grimasse ziehe, und die Maske aus Tränen fällt in sich zusammen und wird zu einem Grinsen. Haha, ertappt!

Die Klausur, die am meisten Angst und Schrecken verbreitet, ist Mathe. Die Kleinen wollen ständig Mal und Geteilt rechnen üben und ich soll ihnen Übungsaufgaben stellen. Also kombiniere ich munter Zahlen und gebe immer vier Rechnungen auf einmal. Meine jüngste Hostelschwester hat ein ganz lustiges Problem beim Mal-Rechnen: sobald eine 1 vorkommt, gerät bei ihr alles durcheinander. Während eigentlich für jeden die Regel 1×1=1; 1×2=2; 1×3=3 etc. offensichtlich und einfach ist, schaut sie mich immer verzweifelt an, wenn ich ihr eine Rechnung mit einer 1 gebe und ruft: „Nooo Miss, no 1 please, this is collapsing, pleeeeaase“. Wenn ich dann sage, sie müsse dann eben genau das üben, vergräbt sie das Gesicht in den Händen und zieht mit ihren Matheaufgaben von dannen.

Heiß, heißer, Mai

Der indische Sommer geht von März bis Mai, wobei Mai der heißeste Monat sein soll. Schon seit ich angekommen bin, wurde ich vor dem Monat gewarnt, ich würde mich wie ein „fried fish“ fühlen. Aber schon seit Ende Januar wird es immer wärmer, das Wasser aus der Leitung ist tagsüber immer lauwarm bis warm und ohne Ventilator will ich auch nicht mehr schlafen. Was für ein Glück, dass genau in diesen warmen Monaten die Wassermelonen reif sind! An jeder Straßenecke findet man inzwischen stapelweise die großen grünen Bälle, die so viel Erfrischung versprechen… Früchte sind einfach etwas Tolles, ich freue mich schon, wenn sehr bald die Mango-Saison wieder anfängt. Im Moment sind die Mangos noch sehr klein…

Was gerade auch gut wächst ist der Reis. Junger Reis ist tiefgrün und die Felder sehen aus wie aus dem Bilderbuch! Wenn er älter wird, färbt sich die Pflanze gold-orange und lässt den Kopf mit den schweren Früchten hängen. Dann ist der Reis fertig zur Ernte, am 29.03. war es soweit! Wegen unseren Reisfeldern mussten wir auch Wasser sparen auf dem Campus, denn Reisanbau braucht viel davon. Da es seit Dezember nicht mehr geregnet hat, sinkt der Wasserspiegel unseres ponds rapide, aber jetzt wurde der Reis geerntet und es wird hoffentlich wieder besser.
Die Reisernte wurde mit einer Maschine gemacht, die nur 3 Stunden für die drei Felder benötigt hat. Wäre es von Hand geschehen, hätten unsere Farmer mindestens 4 Tage gearbeitet… Nach der Ernte schauen die Felder jetzt etwas gerupft aus und nicht mehr so schön, aber sie haben uns 3-4 volle Wagenladungen mit Reis geschenkt.

So, ich mach dann auch mal wieder Schluss für heute! Auf den nächsten Beitrag müsst ihr hoffentlich nicht wieder so lange warten, ich plane schon… Bis bald, danke, dass ihr am Ball bleibt!

2 thoughts on “Schöne unruhige Zeiten

  1. Charlotte 12. April 2019 at 10:24

    Liebe Samira,
    das war ein toller Blog. Du erlebst echt viel. Es wäre schön, wenn es hier auch so entspannt zuginge mit der Pünktlichkeit. Besonders gut haben uns deine Bilder gefallen.
    Wir wünschen dir noch viele schöne Erlebnisse und ein frohes Osterfest.
    Charlotte und Irmgard

  2. Sabine 6. April 2019 at 20:49

    Liebe Samira,

    Unser zweiter Besuch in Indien, diesmal in Tamil Nadu, Chennai und Kuppanyanallur bewegt noch sehr viel in mir.

    Schon unsere erste Reise nach Indien im vergangenen Jahr, als wir unsere indischen Freunde in Hyderabad besucht haben, hat mich sehr bewegt. Doch zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich noch überfahren von der großen Stadt, dem vielen Müll und all den Problemen, die ich in dem Land gesehen habe. Schon da haben mich aber die Menschen berührt, die so offen und herzlich zu Fremden sind, so neugierig und ohne Berührungsängste. Ein großer Gegensatz zu unserem mittelfränkischen Grandlerimage, in dem ja auch ich lebe und das mir deswegen einfach vertrauter ist.

    Bei unserem zweiten Besuch diesmal in Tamil Nadu habe ich so viel zu Respekt nochmal dazubekommen. Gefühlt jedes dritte Gebäude ist eine Schule, ein Krankenhaus oder eine Universität. Es gibt unglaubliche Armut, wie die Familie mit vier kleinen Kindern, die auf den Straßen Chennais zwischen Autos und Müll vor einem Juweliergeschäft lebt. Und es gibt so viel Anmut und Herzlichkeit, wie wir ihn bei dem Besuch bei Deiner Lehrerin-Freundin in ihrer Familie erleben durften. Eine so hübsche, liebe, junge, gebildete Frau, die sechs Geschwister hat und früher mit Ihren Eltern und den Geschwistern zu neunt in dem winzigen Häuschen auf 10 qm lebte. Du hast erzählt, dass diese Familie heute noch von einem Teil der Menschen ausgegrenzt wird, nur weil sie Dalits sind. Wir wurden mit so viel Herzlichkeit empfangen von Ihr, Ihren Eltern, von den Jesuiten, all Deinen Lehrerinnen-Freundinnen und nicht zuletzt Deinen 34 „Schwestern“, den Mädels im Hostel. Ihr Alltag ist so beschwerlich und doch sind sie so fröhlich und voller Energie. Einfach nur durch ihre Anwesenheit machen Sie mir ein gutes, warmes Gefühl.

    Das hat mich mal wieder daran denken lassen, in welchem Überfluss wir leben.
    Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, dass ich morgens, noch bevor ich aus dem Haus gehe mindestens 20 verschiedene Drogerieprodukte benutze. Glaubt ihr nicht? Zählt mal bei Euch selbst, hier ist meine Liste:

    WC-Papier
    Seife
    Shampoo
    Spülung
    Duschgel
    Augentropfen gegen trockene Augen
    Anti-Falten Augencreme
    Anti-Falten-Gesichts-Creme 😀
    Körpercreme
    Haarkur
    Haarfestiger
    Haarspray
    Zahnpasta
    Deo
    Make-up
    Rouge
    Lidschatten
    Kajal
    Wimperntusche
    Parfum
    Slipeinlagen
    Küchenrolle zum Brille putzen

    Versteht mich nicht falsch, ich werde nicht zur Asketin, ich werde mich nicht komplett ändern. Aber ich nehme nicht mehr so viel für Selbstverständlich, ich denke viel nach über unser deutsches Jammern (…auf hohem Niveau), darüber was ich wirklich brauche, was mich tatsächlich berührt, was für mich zählt…

    Ich habe Hochachtung vor den Menschen in Indien, dort leben so viele Menschen, so viele bildungshungrige junge Menschen, so viele Sehnsüchte und so viele Probleme, aber sie gehen das mit einem humorvollen Pragmatismus an, der mir imponiert. Bei all den Gegensätzen und den dunklen Seiten der Indischen Gesellschaft, in der es Ausgrenzung, Benachteiligung, Machtgehabe und Leid gibt… Aber wie ist das bei uns? Sind wir wirklich so viel weiter? Oder in welche Richtung sind wir unterwegs?

    Darüber denke ich gerade sehr viel nach!

    Sabine

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